Kapitalgeber sollten sich zwei Mal überlegen, ob sich Investitionen in die Erschließung von Kohle-, Gas- und Ölvorkommen rechnen. Denn nimmt die Welt das 1,5-Grad-Ziel ernst, dürfen die Vorräte weitgehend nicht angerührt werden.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Modellrechnung unter Leitung des Energie- und Umweltökonomen Dan Welsby vom University College London. Besonders hart ist die Kohle betroffen: Fast 90 Prozent der Vorkommen müssen unter der Erde bleiben statt verbrannt zu werden, damit bis 2100 höchstens noch 580 Gigatonnen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre gelangen. Diese Menge birgt Klimaforschern zufolge zumindest eine 50prozentige Chance, den globalen Temperaturanstieg auf gerade noch verträgliche 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Hahn zu für die Fossilen
Halten sich die Staatenlenker an die auf dem vergangenen Klimagipfel 2015 in Paris getroffene Vereinbarung, heißt es auch für Erdgas und Erdöl: Hahn auf kleine Stellung drehen. Annähernd 60 Prozent der Reserven müssen unangetastet bleiben (siehe Grafik unten).
Das Szenario deckt sich mit einer jüngsten Untersuchung des Ko-Direktors des britischen UK Energy Research Centre in London, Paul Ekins. Demnach muss die globale Erdöl- und -gasproduktion jährlich um drei Prozent und die Kohlproduktion um sieben Prozent für das 1,5-Grad-Ziel sinken.
Kohlevorräte verwandeln sich in totes Kapital
Eine solche radikale Kehrtwende in der Energieversorgung der Welt hätte vor allem für die Förderländer schmerzliche Konsequenzen. Unter diesen Bedingungen ließen sich nur noch die am billigsten zu erschließenden Lagerstätten rentabel betreiben, sagt Michael Jakob, Ökonom am Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.
Heißt im Klartext: Statt sprudelnde Steuereinnahmen und Exporterlöse zu garantieren, verwandeln sich die Kohlevorräte Russlands, Australiens und der USA in totes Kapital. Das gleiche Schicksal blüht Kanadas Ölsänden. Und in der Arktis darf in eisfrei gewordenen Gebieten gar nicht erst mit Probebohrungen nach fossilen Energieträgern begonnen werden.
Die Weitsichtigen unter den Energiekonzernen reagieren
Auch für die Lieferanten der Fördertechnik und die Energiekonzerne dreht sich in diesem Szenario die Welt komplett. Die Weitsichtigen stellen sich bereits auf die Ära der Erneuerbaren ein. Der weltgrößte Kohleförderer, die staatliche indische Coal India Limited (CIL) baut sein erstes Sonnen-Großkraftwerk und reduziert systematisch seine Abbauaktivität. In den USA passen Giganten wie ExxonMobil, Chevron und Conoco Phillips ihre Geschäftsmodelle an, wenngleich teils unwillig und noch zögerlich.
Hoffen auf CO2-Fänger
Streng genommen müsste das Abbauverbot für die Fossilen noch viel strenger ausfallen. Welsby und sein Ko-Autoren unterstellen in ihrem Szenario, dass künftig Technologien zum Einfangen und dauerhaften Einlagern von CO2, englisch Carbon Capture and Storage (CCS), helfen, beträchtliche Mengen des Klimagases nachträglich unschädlich zu machen. Tesla-Gründer Elon Musk hat für die Entwicklung solcher CO2-Fänger gegen den Klimanotstand 100 Millionen US-Dollar Preisgeld ausgelobt. Auf Island erprobt das Schweizer Unternehmen Climeworks gerade eine erste Großanlage.
Riskante Strategie
Kritiker wie der Energieökonom Nebojsa Nakicenovic, der lange das International Institute for Applied Systems Analysis in Wien leitete, halten die Strategie jedoch für riskant. “Das verschiebt das Problem nur in die Zukunft.” Und die CCS-Technologien hätten noch einen langen Weg vor sich, bis sie wirklich im großen Maßstab bereit stünden. Wenn überhaupt.
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