Rund um den Globus schadet Luftverschmutzung massiv der Gesundheit. In Köln soll ein neuartiger Stickoxid-Filter künftig das Atmen erleichtern.

Bild: Stiftung Lebendige Stadt/Ulrik Eichentopf
Die vierspurige Straße an der Nordseite der Kölner Volkshochschule gehört zu den vielbefahrendsten der Stadt. Messungen ergeben regelmäßig hohe Abgaswerte. Insofern ist das Gebäude ein idealer Standort, um die Wirksamkeit einer innovativen Fassadentechnik erstmal in großem Stil zu testen. Ein integrierter Stickoxid-Filter soll einen Teil der umher schwirrenden Abgaspartikel in unbedenkliche Salze umwandeln. Oberbürgermeisterin Henriette Reker hofft auf eine bessere Luftqualität. „Gesundheitsschutz hat für uns höchste Priorität.“
Stickoxid-Filter produziert nährstoffreiches Gießwasser
Entwickelt hat der Bielefelder Fenster- und Fassadenspezialist Schüco das womöglich wegweisende Konzept für saubere Stadtluft. Das System besteht aus einer Aluminium-Unterkonstruktion. Auf ihr sitzen transparente mikroperforierte Kunststoff-Membranen. An ihrer Oberfläche beginnen die Schadstoffe unter der natürlichen UV-Einstrahlung zu oxidieren. Der nächste Regen spült die entstandenen Salze ab. Die versickern entweder im Boden. Alternativ können sie als nährstoffreiches Gießwasser für Pflanzen aufgefangen werden.
Bei der Konstruktion der Fassade haben die Schüco-Techniker auf Wiederverwertbarkeit geachtet. Für die Kölner Textilfassade, bestehend aus zwei jeweils 8 mal 20 Meter großen Flächen, verwendeten sie 4400 recycelte Flaschen aus Polyethylenterephthalat, bekannt unter dem Kürzel PET. Das Aluminium hat nach Unternehmensangaben einen Recyclinganteil von 75 Prozent. Da nichts geklebt wurde, können die Elemente nach Abschluss der Projekts zerlegt und neu genutzt werden.
WHO: 91 Prozent der Menschen atmen dreckige Luft
Weiterer technischer Clou: Das lichte Gewebe kann mit beliebigen Motiven bedruckt werden – macht also auch optisch etwas her. Und während Besucher und Mitarbeiter der Volkshochschule freie Sicht nach außen genießen, sind sie umgekehrt vor neugierigen Blicken geschützt.
Bestätigt das Pilotprojekt die erwartete hohe Filtereffizienz, kann Schüco auf ein lukratives weltweites Geschäft hoffen. Denn nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind 91 Prozent der Weltbevölkerung teils massiver Luftverschmutzung ausgesetzt. Das führe zu 4,2 Millionen jährlichen vorzeitigen Todesfällen, schätzen die Experten.
Wirtschaftliche Verluste von 5,1 Billionen US-Dollar im Jahr
Hinzu kommt ein enormer ökonomischer Schaden durch dreckige Luft. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD taxiert die Verluste auf mehr als 5,1 Billionen US-Dollar per anno. Resultierend aus Krankheitskosten, Arbeitsausfällen, Gebäudeschäden, Ernteeinbußen und Gesundheitsbeeinträchtigungen.
Alexander Otto, Kuratoriumsvorsitzender der maßgeblich an dem Projekt beteiligten Stiftung Lebendige Stadt, sieht daher eine große Chance: „Die bisher ungenutzten Flächen der Gebäudehüllen bieten ein erhebliches Potenzial, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, die Luftverschmutzung zu reduzieren und
den Verbrauch von Primärressourcen zu verringern.“

Ein erster, Anfang 2020 gestarteter kleiner Testlauf für den Stickoxid-Filter in Hamburg am Unternehmenssitz des Immobilienspezialisten ECE zeigte überdies einen unerwarteten positiven Nebeneffekt. Die Textilfassade erwies sich als hoch wirksame Beschattung, die bis zu 78 Prozent der Sonnenwärme draußen hielt, anstatt die Büros aufzuheizen.
Stickoxid-Filter und begrünte Fassaden
Schüco hat sich schon vor dem Anti-NOx-Filter mit gebäudeintegriertem Klimaschutz in Form von Fassadenbegrünung einen Namen gemacht. Auf einem Vlies und in speziellen Taschen gedeihen und blühen vielfältige Pflanzen. Die begrünte Wandkonstruktion zahlt sich gleich mehrfach aus: Sie dämmt, spart dadurch Kosten für die Klimatisierung. Sie produziert Sauerstoff, speichert CO2, reinigt die Luft von Feinstaub und mindert den Lärm, der nach innen dringen kann. Und nicht zu unterschätzen: Sie verschönert das Stadtbild. Bunt statt kahl.
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