Soziale Ungleichheit: Die Reichen sorgen sich ums Tierwohl, die Armen um eine Schale Reis

Beinahe jeder zweite Mensch kann sich nicht gesund ernähren. Derweil diskutieren wir über verständliche Tierwohl-Label. Ein Lehrstück, welche gewaltige soziale Kluft die Welt spaltet.

Kinder in Afrika: Weltweit hungerten 735 Millionen Menschen 2022, Tierwohl-Debatten sind für sie eine Gespensterdiskussion
Tägliche bange Frage weitab von Tierwohl Gibt’s heute was zu essen? Bild: Pixabay

Gleich vorweg: Nichts gegen die Inbrunst, mit der bei uns ums Wohlergehen von Schwein, Rind und Huhn gerungen wird. Und bravo, wenn hiesige Verbraucher angeblich sogar bereit wären, fürs Tierwohl tiefer in den Geldbeutel zu greifen. Ebenso ist zu begrüßen, dass sich Bundestag und Bundesrat nun nach lobbygetriebenem jahrelangem Hin und Her endlich darauf geeinigt haben: Der Handel muss künftig kennzeichnen, wie das Vieh gehalten wurde, bevor es auf den Teller kommt – zuerst beim Schwein.

Geht Tierwohl über Menschenwohl?

Doch dann veröffentlicht die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganistion (FAO) der Vereinten Nationen (UN) zeitgleich frische Zahlen zur Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln. Und diese machen schlagartig klar, welche Luxusprobleme reiche westliche Länder wie Deutschland wälzen. Zum Beispiel beim Tierwohl. Und welche gewaltige soziale Ungleichheit die Welt spaltet.

“Einen Weckruf im Kampf gegen den Hunger”, nennt FAO-Generaldirektor QU Dongyu die Zahlen. Im Verlauf des vergangenen Jahres hatten täglich zwischen 691 und 783 Millionen Menschen wenig bis nichts zu essen. Im Durchschnitt hungerten 122 Millionen Menschen mehr als noch 2021.

3,1 Milliarden Menschen können sich nicht gesund ernähren

Doch das Ausmaß unzureichender Ernährung ist noch weit dramatischer. Überhaupt etwas im Kochtopf zu haben, hilft beim Überleben. Doch das Angebot an Vitaminen, Mineralien, Kohlenhydraten und anderen essentiellen Nährstoffen ist weit von dem entfernt, was die FAO als gesunde Ernährung definiert. Eine solche können sich weltweit mehr als 3,1 Milliarden Menschen nicht leisten (siehe Grafik unten). Das entspricht 42 Prozent der Weltbevölkerung. Die Allermeisten darunter leben in Asien und Afrika.

Die Grafik zeigt, in welchen Weltregionen die mehr als 3,1 Milliarden Menschen leben, denen die Mittel fehlen, sich gesund zu ernähren
Vor allem in Südasien sowie in Ost- und Westafrika können Menschen sich nicht gesund ernähren Quelle: FAO

Die Folgen der Ernährungsdefizite sind vielfältig. Die Menschen erkranken leichter, sterben früher, sind weniger leistungsfähig. Ganz besonders gefährdet sind Kinder in ihrer Wachstumsphase.

Lebensmittel immer teurer

Hauptgrund dafür, dass sich immer weniger Menschen gesund ernähren können, sind die stark gestiegenen Preise für den notwendigen Lebensmittelkorb. Laut Weltbank verteuerte er sich zwischen 2019 und 2021 mit neun Prozent in Asien sowie acht Prozent in Lateinamerika und der Karibik am stärksten. Preistreiber waren Inflation im Gefolge von Corona, aber auch klimabedingte Missernten. Russlands Aufkündigung des Getreideabkommens mit der Ukraine wird die Lage nicht verbessern.

Dabei wäre, gemessen am westlichen Wohlstand, gar nicht mal allzu viel Geld notwendig, um eine gesunde Ernährung zu gewährleisten. 3,66 US-Dollar pro Tag müsste der Weltbank zufolge jeder dazu ausgeben können. Doch in den Armenhäusern dieser Welt ist die große Mehrheit von einem solchen Einkommen weit entfernt.

Erregungsdebatten ums Tierwohl

Dort der Kampf ums tägliche Überleben, hier der Streit ums Tierwohl. Unfairer Vergleich? Mag sein. Schließlich hat kein Afrikaner mehr zu essen, wenn das Schwein weiter leidet.

Und doch zeugen unsere Erregungsdebatten davon, wie meilenweit entfernt sie von den Nöten der allermeisten Menschen geführt werden. In deren Augen pure Luxusprobleme.

Erst recht wohl, wenn sie erfahren, welchen Aufwand Forscher der Universität Göttingen vorschlagen, damit Verbraucher verstehen, was sich hinter den künftigen fünf Haltungsformen verbirgt: “Stall”, “Stall + Platz”, “Frischluftstall”, “Auslauf/Freiland” und “Bio”. Außer mit einfachen Texten plus Bild könnten Supermärkte auch via QR-Codes für den Video-Abruf zuhause oder das Austeilen von Virtual-Reality-Brillen Transparenz schaffen. Zum Beispiel zeigen, wie es in einem Frischluftstall zugeht (siehe Foto unten).

Frischluftstall für Schweine in der künftigen Haltungsform 3 nach Tierwohl-Label
Kobe mit Ausblick Künftiger Frischluftstall der Haltungsform 3 Bild: Uni Göttingen

Einfache Alternative: Tierquälerei verbieten

Welch ein Tamtam. Ein Vegetarier-Magazin hält einen sehr viel einfacheren Vorschlag parat. Statt kostspielige Tierwohl-Label einzuführen, verbietet der Staat konsequent jeder Form der Tierquälerei. Und besteuert Wurst und Steaks höher als pflanzliche Kost wie Obst, Gemüse und Getreide.

Fleisch würde teurer und nach den Gesetzen des Markts weniger konsumiert. Ein Effekt der Maßnahme: Es werden weniger Anbauflächen für Tierfutter benötigt. Stattdessen können dort Getreide und Gemüse wachsen, um den Hunger auf der Welt einzudämmen. Geholfen wäre Tier wie Mensch.

Mehr: Verbraucherzentrale FAO Worldbank

Dieter Dürand

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