Verkehrswende: Politik lässt die Bürger allein

Die Bundesbürger sollen öfter Rad, Bus und Bahn fahren – der Umwelt zuliebe. Doch die Politik lässt die Verkehrswende sträflich schleifen.

Stillgelegtes Gleis: Statt kräftig in die grüne Verkehrswende zu investieren, produziert die Politik allenfalls Stückwerk
Stillgelegtes Gleis Abgesang auf die viel propagierte Verkehrswende

Verbal sind sich Regierungsbündnisse in ihren Koalitionsverträgen schnell einig – gleich welcher Couleur. Ob rot-grün-gelbe Ampel in Berlin, schwarz-grüne Landesregierung in Düsseldorf oder schwarz-roter Senat in der Bundeshauptstadt. Sie alle legen vollmundige Lippenbekenntnisse zu einer klimaverträglichen Verkehrswende ab. Mit Radwegeausbau, einem flächendeckenden Schnellbusnetz, dichter Taktfolge oder jüngst Kracher, einem deutschlandweiten 49-Euro-Ticket, wollen die Regierenden das Volk animieren: Lasst das Auto stehen, fahrt stattdessen lieber Rad oder Bus.

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Ökologische Verkehrswende tritt auf der Stelle

Dumm nur, dass es allzu oft bei der Ankündigung bleibt. Oder sie bestenfalls im Schneckentempo angegangen wird. Beispiel Nordrhein-Westfalen.

Auch gut ein Jahr nach Regierungsantritt hat das Gespann aus Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) keine Finanzierung für das geplante Schnellbusnetz und 1000 Mobilitätsstationen vorgelegt. Sie sollen das Umsteigen vom Velo und Auto auf den öffentlichen Nahverkehr erleichtern.

Berlin sogar im Rückwärtsgang

Oder Berlin. Dort legt die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiber (CDU) sogar erst einmal den Rückwärtsgang ein bei der Verkehrswende. Neue Radwege will sie nur dort bauen, wo dafür kein Parkplatz oder keine Autospur weichen muss. Das dürfte vor allem in der Innenstadt schwierig werden.

Vielleicht sollte Schreiber sich mal in Kopenhagen schlau machen, wo die Pedaltreter seit Jahren auf eigenen, gut ausgebauten Schnellwegen durch die Kapitale flitzen. Dort beschlossen alle im Stadtparlament vertretenen Parteien jüngst einstimmig, von 2030 an keine Verbrennungsmotoren mehr in der City zu dulden. Ja spinnen die Dänen jetzt?

Verkehrswende massiv unterfinanziert

Dabei zeigen sich die deutschen Hauptstadt-Bewohner äußerst rad-affin. Fast ein Drittel der Pendler nutzt dort heute schon das Zweirad, um zur Arbeit, zur Schule oder an die Hochschule zu kommen. Wieviele würden es wohl bei einer vergleichbar ausgebauten Rad-Infrastruktur wie in Kopenhagen werden?

Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing reiht sich – wenig überraschend – in die Phalanx jener ein, denen die Bahn oder das Rad im Zweifel deutlich weniger wichtig ist als das Auto. Zwar kündigte er vor wenigen Wochen an, Fahrrad-Parkhäuser, in denen sein Besitzer auch ein edles 8000-Euro-E-Bike sicher unterstellen kann, fördern zu wollen. Dabei schätzt der Liberale den Bedarf auf mindestens 1,5 Millionen Stellplätze. Deren Bau würde nach Schätzungen Milliarden Euro kosten. Doch Wissing will bis 2028 nur popelige 110 Millionen Euro rausrücken.

Verschlechtertes Angebot im öffentlichen Nahverkehr

Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, zeigt eine jüngste Studie der “Allianz pro Schiene”. Demnach ist jeder Zehnte Deutsche faktisch von Bus und Bahn abgehängt. Die nächste Haltestelle viel zu weit weg. Oder sie wird viel zu selten angefahren. Da hilft dann auch das günstigste Ticket nichts. Das Angebot sei gegenüber 2020 sogar schlechter geworden – trotz aller Bekundungen zur Verkehrswende, beklagt Allianz-Geschäftsführer Dirk Flege.

Bayrische Landkreise schneiden miserabel ab

Naturgemäß sitzen vor allen Landbewohner ohne eigenen Pkw auf dem Trocknen. Besonders schlecht ist die Versorgung in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern (siehe Grafik unten). Bemerkenswert findet Flege das erneut miserable Abschneiden bayrischer Landkreise, die vier der fünf letzten Plätze belegen. Bemerkenswert auch: Keines der fünf Schlusslichter gehört zu den besonders dünn besiedelten Gebieten.

Die Grafik gibt Auskunft, wie gut die Erreichbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs in den Bundesländern ist
In welchen Bundesländern die meisten Bewohner von Bus und Bahn abgehängt sind
Quelle: Allianz pro Schiene

Das lässt für den Geschäftsführer nur eine Schlussfolgerung zu. “Insofern ist eine gute oder schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis von guter oder schlechter Verkehrspolitik.“

“Die gute oder schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis von guter oder schlechter Verkehrspolitik”

Dirk Flege, Allianz pro Schiene

Subjektiv ist sogar jeder dritte Bundesbürger unzufrieden mit dem Angebot des öffentlichen Nahverkehrs an seinem Wohnort. Das spiegelt das auf Umfragen basierende Mobilitätsbarometer der Organisation wider. Hauptkritikpunkt ist, dass Busse und Bahnen viel zu selten die Haltestellen ansteuern. Ebenso ernüchternd: Nicht einmal jeder zweite Deutsche stuft die hiesigen Radwege als sicher ein.

Von Aufbruch nichts zu sehen

Die Wahrnehmung hat viel mit den ausbleibenden versprochenen Investitionen in das Radwegenetz zu tun. Schließen von Lücken, Absenken von Bordsteinen, Bau autofreier Schnellspuren, Einrichtung von Fahrrad-Ampeln, Anlegen geschützter Abstellmöglichkeiten – von all dem sehen die Befragten wenig bis nichts (siehe Grafik unten). So wird es nichts werden mit der ökologischen Verkehrswende.

Die Umfrage gibt an, welcher Anteil der Befragten Maßnahmen zum Ausbau des Radnetzes in seiner Umgebung wahrnimmt
Von massiven Investitionen in eine leistungsfähige Radstruktur ist wenig bis nichts zu sehen Quelle: YouGov/Statista

Mehr: rbb24 allianz-pro-schiene

Dieter Dürand

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