Wie die LNG-Terminals soll auch die Windkraft im „neuen Deutschlandtempo“ ausgebaut werden, versprach der Kanzler. Zu sehen ist davon wenig.
Es läuft nach längerer Flaute wieder besser, aber immer noch viel zu langsam beim fürs Gelingen der Energiewende zentralen Ausbau der Windkraft an Land. Wenn alles gut geht, werden sich zum Jahresende Rotoren mit einer Leistungsfähigkeit von 3,2 Gigawatt (GW) zusätzlich drehen. Prognostiziert der Bundesverband Windenergie (BWE). Notwendig wären jedoch zehn GW jährlich, um die Klimaziele zu erreichen. Denn Elektroautos, Wärmepumpen und Wasserstoff sind auf grünen Strom angewiesen. Sonst ist ihr Einsatz alles andere als sauber.
Ohne Windkraft kein grüner Wasserstoff
Laut Bundeskanzler Olaf Scholz müssten dafür jeden Tag fünf Windräder aufgestellt werden. Das wären 1825 Windenergieanlagen (WEA) im Jahr. Tatsächlich sind im ersten Halbjahr brutto jedoch lediglich 331 Maschinen hinzu gekommen (siehe Grafik unten). BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek vermag in der Zahl nicht das vom Kanzler versprochene „neue Deutschlandtempo“ zu erkennen. „Da muss viel mehr geschehen, um die notwendige Dynamik zu entfachen.“
Bürokratieabbau versprachen Scholz und Klimaminister Robert Habeck als wichtigste Maßnahme. Weit voran gekommen ist der jedoch nicht. Im Gegenteil: „Langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie der Mangel an verfügbaren Flächen stellen weiter die größten Zubauhürden dar“, beklagt Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer des Maschinenbau-Verbands VDMA Power Systems. Tatsächlich sprang die Verfahrenslaufzeit für die Antragsbearbeitung auf einen neuen Höchstwert von 24,5 Monaten.
Bürokratie und Südländer größte Bremsklötze
Und längst nicht überall in den für die Umsetzung der Regelungen zuständigen Bundesländer scheint der Vorwärtsdrang gleich ausgeprägt zu sein. Das belegen die Zahlen. Mehr als jede dritte neue Turbine wurde im ersten Halbjahr allein in Schleswig-Holstein installiert. Die industriestarken Südländer Baden-Württemberg und Bayern hingegen festigten ihren Ruf als Windkraft-Verächter. Dort ragen gerade einmal acht beziehungsweise fünf Mühlen zusätzlich in den Himmel. Komplette Flaute herrschte in Thüringen und Sachsen sowie den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg (siehe Grafik unten).
Den Südländern könnte ihr mangelnder Ehrgeiz jetzt auf die Füße fallen. Denn der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, schlägt vor, unterschiedliche Strompreiszonen in Deutschland einzurichten. Das hat Brisanz, weil der Bundestag seiner Behörde demnächst die Verantwortung für die Preisgestaltung übertragen könnte.
Zoff um unterschiedliche Strompreiszonen
Mit dem Vorstoß will Müller eine Ungerechtigkeit beseitigen. Denn den Anschluss der vielen Windräder ans Stromnetz finanzieren Verbraucher und Unternehmen in den Nordländern über hohe Netzentgelte. Der Effekt: Die Strompreise sind dort höher als im Süden. Der proftiert nur vom Windstrom. Daher will Müller Regionen mit viel Windkraft von den hohen Gebühren entlasten.
Prompt attackiert ihn der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) heftig. Wer solchen Zonen das Wort rede, lege die Axt an den Industriestandort Deutschland und gefährde Süddeutschland als industrielles Herz der Republik, poltert der wahlkämpfende Oberbayer. Müller zeigt sich unbeeindruckt und kontert: „Es liegt auf der Hand, die Bürger vor Ort für den Ausbau der Windkraft zu belohnen, statt sie mit hohen Strompreisen zu bestrafen“.
Im Windschatten dieser Debatte sah sich zuletzt ein anderer Politiker heftiger Vorwürfe ausgesetzt: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm unterstellte ihm in einem Interview, die notwendigen Schwertransporte der riesigen Rotorblätter und Turbinenhäuser regelrecht „zu sabotieren“. Der Grund für Axthelms Zorn. Nach Angaben der Logistikbranche stauen sich bei der in Wissings Zuständigkeit liegenden Autobahn GmbH allein für Nordwestdeutschland 15 000 Anträge.
Sabotiert Wissing notwendige Windkraft-Schwertransporte?
Der Liberale weist den Vorwurf zurück. „Ich bin nicht für den Ausbau der Windenergie zuständig. Das ist Sache des Kollegen Habeck.“ Die Replik ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die ihm unterstellte Autobahn GmbH eine Stellungnahme zur Befahrbarkeit der beantragten Route abgeben muss. Bei der Bearbeitung stockt es offenbar erheblich. Neues Deutschlandtempo wäre auch hier gefragt.
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