Thyssenkrupp-Projekt für grünen klimaneutralen Stahl auf Wasserstoff-Basis kommt voran

Es ist ein Meilenstein für den klimaneutralen Umbau der hiesigen Industrie: grüner Stahl auf Wasserstoff-Basis. Die EU genehmigt Milliarden-Beihilfen, die Bundesregierung passt ihre Wasserstoff-Strategie an.

Der Einsatz von Wasserstoff statt Koks zur Eisenerzschmelze ermöglicht die Produktion von klimaneutralem grünen Stahl
Stahlproduktion bei Thyssenkrupp Wasserstoff statt Koks – Stahl wird grün Bild: Thyssenkrupp Steel Europe

Eine Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Bedeutung für die klimaneutrale Transformation der Stahlgewinnung in Deutschland. Gegenwärtig blasen die Hochöfen der Thyssenkrupp Steel Europe (TKS) jährlich 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft. Das entspricht 2,5 Prozent der gesamten deutschen CO2-Emissionen. Schon die geplante Umstellung einer ersten von vier Anlage von Koks auf Wasserstoff (H2) für die Eisenschmelze werde jährlich, so der Konzern, bis zu 3,5 Millionen Tonnen des Klimagases vermeiden. Stahl wird grün.

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Grüner Stahl steht für die klimaneutrale Transformation

Die frohe Botschaft stimmt den CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen (NRW), Hendrik Wüst, geradezu euphorisch. “Eine komplette Wertschöpfungskette, die weit in den metallverarbeitenden Mittelstand überall im Land reicht, wird zukunftsfähig gemacht und bleibt hier.”

Wegen der großen Bedeutung des grünen Stahls für das Erreichen der europäischen Klimaziele genehmigte die EU-Kommission jüngst Beihilfen von bis zu zwei Milliarden Euro. Mit so viel Geld wollen Bund und Land dem Stahlriesen beim Technologiewechsel unter die Arme greifen. Im Gegenzug, so die Auflage der EU, muss sich TKS verpflichten, sein gewonnenes Wissen mit der Industrie und Wissenschaft zu teilen.

Auch Konkurrenten setzen auf grünen Stahl

Die Duisburger setzen sich damit – zumindest finanziell – in Europa an die Spitze der Bewegung, die Stahlproduktion ergrünen zu lassen. Frankreich fördert die Umstellung dreier Hochöfen bei ArcelorMittal mit 850 Millionen Euro. Der Stockholmer Spezialstahlhersteller SSAB liefert dem schwedischen Autohersteller Volvo bereits grüne Bleche für Lastwagen. Und Deutschlands zweitgrößter Stahlkocher Salzgitter will VW und BMW schon Ende 2025 mit CO2-armem Stahl versorgen.

Raub der Sauerstoffatome

TKS wird auf seinem Gelände am Rhein laut Planung erst ein Jahr später loslegen (siehe auch Grafik unten). Dafür setzen die Duisburger als erster Stahlproduzent weltweit auf ein hochinnovatives Verfahren: In einer sogenannten Direktreduktions-Anlage (DR) raubt Wasserstoff dem Eisenerz seine Sauerstoffatome. Das reine Eisen wird in zwei Einschmelzern anschließend zu Stahl verarbeitet.

Die Grafik zeigt im Modell, wo am Rhein bei Duisburg Thyssenkrupp Steel seine erste wasserstoffbetriebene Direktreduktions-Anlage für grünen Stahl plant
Duisburger TKS-Stahlwerk am Rhein im Modell Im weiß hervorgehobenen Teil entsteht die mit Wasserstoff betriebene Direktreduktions-Anlage für grünen Stahl Grafik: Thyssenkrupp Steel

“Wir wollen beweisen, dass Fortschritt, Wohlstand und Klimaschutz keine Widersprüche sind.”

Bernhard Osburg, TKS-Chef

TKS ist noch vor dem EU-Bescheid dafür ins Risiko gegangen. Beim Anlagenbauer SMS im benachbarten Düsseldorf bestellten die Duisburger vergangenen März die 1,8 Milliarden teure DR-Anlage. Laut TKS-Chef Bernhard Osburg liegen alle Vorbereitungen im Plan. Sein Ehrgeiz ist groß. “Wir wollen beweisen, dass Fortschritt, Wohlstand und Klimaschutz keine Widersprüche sind.”

Das Wasserstoff-Dilemma

Ob der Stahl am Ende tatsächlich so grün sein wird wie angekündigt, hängt allerdings entscheidend von einem Faktor ab: Sauberer, das heißt mit Hilfe von Sonnen- und Windstrom in Elektrolyseuren erzeugter Wasserstoff muss in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Davor jedoch türmen sich Fragezeichen.

Zwar hat die Thyssenkrupp-Mutter eine eigene Wasserstoff-Tochter namens Nucera, die sie vor wenigen Wochen an die Frankfurter Börse gebracht hat. Und Iqoni, ein Ableger des Essener Energieunternehmens Steag, plant in direkter Nachbarschaft zum TKS-Werk einen Elektrolyseur mit einer jährlichen Kapazität von ungefähr 75 000 Tonnen.

Kein grüner Stahl ohne grünen Wasserstoff

Doch selbst die Bundesregierung schließt praktisch aus, dass der Aufbau grüner Wasserstoff-Kapazitäten schnell genug vorankommt, um den rasch anschwellenden Bedarf an dem Hoffnungsträger zu decken.

So hat das Kabinett gestern bei der Fortschreibung der “Nationalen Wasserstoffstrategie” einerseits beschlossen, die Elektrolysekapazitäten für klimaneutrales H2 bis 2030 zu verdoppeln: auf zehn Gigawatt (GW). Zugleich jedoch erstmals auch “blauen” Wasserstoff als förderungswürdig eingestuft. Der wird aus Erdgas hergestellt, das anfallende CO2 im Idealfall dauerhaft in der Erde gespeichert.

Stratgiewechsel der Bundesregierung

Ob das funktioniert, sei nach aktuellem Stand der Technik indes unklar, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Auch Christiane Averbeck, geschäftsführende Vorständin der Klima-Allianz Deutschland mahnt. “Nur grüner, mit zusätzlichen erneuerbaren Energien produzierter Wasserstoff kann bei der Begrenzung der Erderhitzung helfen.

Mehr: Tagesschau Heise BUND

Dieter Dürand

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