Es klingt verrückt: Ohne die Luftverschmutzung in vielen Teilen der Welt fiele die Erderhitzung noch drastischer aus. Das 1,5-Grad-Ziel rückt in weite Ferne.

Mancher Fortschritt hat auch Tücken. Noch in den 1970iger Jahren war es zum Beispiel an Rhein und Ruhr riskant, seine Wäsche zum Trocknen draußen aufzuhängen. Rußpartikel und andere Luftschadstoffe aus Stahl- und Kohlekraftwerken sprenkelten sie womöglich gräulich ein. Heute ist der Himmel über den westlichen Industrienationen blau statt dunstig – dank moderner Filter und Reinigungsmethoden. Dummerweise geht das zulasten der Erderhitzung.
Smog als Schutzschild gegen die Erderhitzung
Denn was für Gesundheit und Umwelt ein Segen ist, erweist sich gegenwärtig als Bumerang fürs Klima. Auf dieses Paradoxon weist Johan Rockström hin, Direktor am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Als Teil der Erklärung, warum die Temperaturen auf der nördlichen Hemisphäre gerade besonders stark nach oben klettern. Wegen der sauberen Luft kann die Sonne dort ungehindert auf die Landmassen einstrahlen.
Wäre die Luft über China und Indien ähnlich klar, würde sich unser Planet Rockström zufolge noch bedrohlicher aufheizen als ohnehin schon. Im Einklang mit anderen Klimaforschern schätzt der Schwede den die Temperatur dämpfenden Smog-Effekt auf 0,3 Grad Celsius. Die Erklärung liefert er gleich mit: Die Schwebstoffe wirkten wie winzige Spiegel, die einen Teil der Sonnenstrahlung zurück ins Weltall werfen.
“Würde die Luft über Mumbai, Neu Delhi und Peking sauber, löste das einen sofortigen Wärmeimpuls fürs Erdklima aus.”
Johan Rockström, PIK
Dann wird es erst richtig verrückt. Mit einer gewissen Sorge sieht Rockström das Streben dieser Länder, zügig auf eine grüne Energiegewinnung auf Basis von Wind und Sonne umzusteigen. “Würde die Luft über Mumbai, Neu Delhi und Peking sauber, löste das einen sofortigen Wärmeimpuls fürs Erdklima aus.”
Noch verbirgt der sich gewissermaßen in den Dunstglocken, so der Wissenschaftler. Rechne man den Effekt ein, bewege sich der Planet womöglich bereits auf der 1,5-Grad-Celsius-Linie, die auf der Pariser Weltklimakonferenz 2015 gerade noch als erträglich für die Menschheit definiert wurde.
Treibhausgasemissionen erreichen neues Rekordniveau
Keine gute Nachricht. Sie reiht sich ein in eine Kette anderer schlechter Botschaften. Neueste Zahlen aus dem Bericht “Global Carbon Budget 2022” weisen aus, dass die globalen Treibhausgasemissionen nach einer kurzen, coronabedingten Pause ein neues Rekordniveau erreichen (siehe Grafik unten). “Es gibt keine Anzeichen für einen Rückgang”, warnen die Autoren.

Eine weitere bisher versteckte und möglicherweise stark unterschätzte Gefahr lauert Forschern zufolge in den immer rascher auftauenden Permafrostböden in Sibirien und den arktischen Regionen. In ihnen sind 1700 Milliarden Tonnen CO2 gebunden, so die Schätzungen. Schmilzt das Eis, wird das Klimagas frei und heizt die Erdatmosphäre zusätzlich auf. Schon heute entweicht aus den Böden jährlich etwa die gleiche Menge Treibhausgase mit der Japan zum Temperaturanstieg beiträgt.

“Permafrost ist sozusagen der schmutzige Cousin der schmelzenden Eisschilde”, erläutert Merritt Turetsky, Klimaexpertin an der Universität Colorado Boulder. “Man sieht ihn nicht, aber er ist da. Und er hat einen gleich großen Einfluss auf das globale Klima.” Permafrostböden und Eisschilde gehören zu den Kipppunkten, ab denen unumkehrbare Schäden den Planeten ins Wanken bringen. Die beiden Faktoren werfen den Austauschzyklus im globalen Kohlenstoff-Haushalt noch mehr aus dem Takt (siehe Grafik unten).

Quelle: Global Carbon Project
Treibt denn wenigstens der selbsternannte Vorreiter Deutschland die Klimarettung voran?
Deutschland sackt ab im Klima-Ranking
Nicht mal in Trippelschritten urteilt die Umweltorganisation Germanwatch in einem gerade veröffentlichten Ranking. Im Gegenteil. Das Land der rot-grün-gelben Ampelregierung, die den Klimaschutz zu ihrem Markenkern machen wollte, rutscht sogar um drei Plätze auf Rang 16 ab (siehe Grafik unten). Aufwärts ging es hingegen für Chile, Marokko und Indien, die nach Dänemark und Schweden die Plätze sechs bis acht belegen. Das Siegertreppchen ließ Germanwatch unbesetzt, weil die Klimapläne keines Staates nach Einschätzung der Experten ehrgeizig genug sind, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Vor allem einer hat Deutschland die miese Platzierung eingebrockt: Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Germanwatch-Experte Jan Burck attestiert dem FDP-Mann regelrecht “Arbeitsverweigerung” in Sachen Weltenrettung. Aber auch der lahmende Ausbau der Erneuerbaren und der “überdimensionierte” Ausbau von Flüssiggas-Anlagen schlugen negativ zu Buche.
Mehr: reuters globalcarbonproject.org cnn nau
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