Alle Welt weiß: Die Zukunft gehört dem E-Auto. Doch ausgerechnet im Autoland Deutschland klammern sich zu viele an den Verbrenner und gefährden so die wichtigste heimische Industrie. Wie kann das sein?

Bis jüngst zur Automesse in Shanghai schien es unter Deutschlands Autofans kein drängenderes Problem zu geben als am Verbrennungsmotor festzuhalten. Unter dem Schlagwort „Technologieoffenheit“ rang Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) der EU-Kommission die Zusage ab, Verbrenner auch nach 2035 zuzulassen. Sofern sie vermeintlich klimaneutrale Kraftstoffe tanken, sogenannte E-Fuels. Da können Experten deren Herstellung noch so sehr als „Energievernichter“ tadeln. Eine 55-prozentige-Mehrheit der Bundesbürger klatscht dem Freidemokraten Beifall. Dagegen erwägt nach wie vor nur eine Minderheit, ein E-Auto anzuschaffen. Die Skepsis ist vor allem im Osten ausgeprägt (siehe Grafik unten).

Ein Herz für Verbrenner statt für ein E-Auto
Dem Autoland Deutschland, wo jeder siebte Arbeitsplatz an dieser Branche hängt, bekommt solch Rückwärtsgewandheit nicht. Denn weltweit ist die Elektromobilität auf dem Vormarsch. Die Verkäufe von Stromern legen dieses Jahr einer Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris zufolge um 35 Prozent zu (siehe Grafik unten). Schon Ende des Jahres könnte in jedem fünften verkauften Neuwagen ein Elektromotor schnurren. Für hiesige Hersteller, die den Zeitenwechsel zum sauberen Antrieb verschlafen, könnte es ein böses Erwachen geben.

Schon jetzt sind sie auf dem größten Automarkt der Welt in China gegenüber den dortigen Newcomern in die Defensive geraten. BYD, Nio und Geely heißen die neuen, dem hiesigen Publikum oftmals noch unbekannten Herausforderer. Mit ebenso innovativen wie kostengünstigen Modellen verweisen sie Mercedes, BMW und VW mit ihren Verbrennerflotten auf die Ränge. Und die Chinesen machen kein Geheimnis daraus, schon dieses Jahr mit bezahlbaren Stromern für die breite Masse auch in Europa auf Kundenjagd zu gehen.
Chinesen gehen auch in Europa auf Kundenjagd
Wenn beispielsweise BYD – die neue Nummer eins auf der Welt noch vor Tesla – seinen neuesten Kleinwagen Seagull wie im Heimatmarkt für rund 10 000 Euro anbieten sollte, wäre der viel Mal preiswerter als ein VW ID.3. Der ist derzeit das günstigste Modell aus hiesiger Produktion. Und bei der Qualität brauchen sich die Ingenieure aus Fernost nicht zu verstecken, urteilen Experten.
Trotz der akuten Bedrohung klingen die Bekenntnisse des Verbands der Automobilindustrie (VDA) jedoch immer noch eher halbherzig als entschlossen. Der Fokus liege auf der Elektromobilität, versichert zwar VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Die Branche werde dafür bis 2027 weltweit jährlich 50 Milliarden Euro investieren. Zugleich schränkt die Funktionärin jedoch wieder ein: „E-Fuels können eine zusätzliche Option sein. Brüssel und Berlin müssen aufhören, zunehmend mit Regulierungen und Verboten Politik zu machen.“ Dabei sprechen längst die Märkte ihr Urteil.
Ideologische Scheuklappen wie beim Tempolimit
Es sind die gleichen ideologischen Scheuklappen, die wie beim Tempolimit zum deutschen Sonderweg führen – und womöglich bald ins automobile Abseits.
Gerade haben – pikant, pikant – Wissenschaftler der School of Business and Economics der schwedischen Linné-Universität Wissing & Co, vorgerechnet, dass Tempo 130 auf Autobahnen den Deutschen einen Wohlfahrtsgewinn von jährlich mindestens 950 Millionen Euro bescheren würde. Allein 766 Millionen Euro würde der verringerte Kraftstoffverbrauch bringen. Die eingesparten CO2-Emissionen schlügen mit 293 Millionen Euro zu Buche. Obendrauf kämen vermiedene Unfälle und niedrigere Herstellungs- und Wartungskosten für die Infrastruktur.
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