“Jedes Zehntel Grad weniger Temperaturanstieg ist ein Gewinn und mildert die Klima-Katastrophe”

Der Wissenschaftsautor Ulrich Eberl erläutert im Greenspotting-Interview, warum sich die grüne Transformation wirtschaftlich rechnet und er gegen Klima-Panikmache ist.

Buchautor und Klima-Retter Ulrich Eberl
Eberl, Jahrgang 1962, promovierte an der TU München in Biophysik, Der gebürtige Regensburger arbeitete einige Jahre bei Daimler und leitete 20 Jahre die Kommunikation über Forschung, Innovation und Zukunftstrends bei Siemens. Seit 2016 ist er als selbstständiger Zukunftsforscher, Buchautor und Vortragsredner tätig.

Herr Eberl, in Ihrem Buch mit dem Titel „Unsere Überlebensformel“ haben Sie aufgezeigt, dass die Lösungen zur Bewältigung der Klima-Krise alle vorliegen. Warum passiert dann so wenig?

Ich könnte jetzt keck behaupten, weil mein Buch erst seit kurzem auf dem Markt ist. Aber im Ernst: Natürlich geht alles viel zu langsam. Die Wissenschaft zeigt schon seit Jahrzehnten ziemlich präzise auf, unter welchen Stress der ungebremste und starke Anstieg der Treibhausgase unseren Planeten setzt. Wir haben also enorm viel Zeit vergeudet. Dennoch ist falsch, dass nichts passiert.

Welche Entwicklungen stimmen Sie optimistisch?

Zum Beispiel, dass 70 Prozent der weltweit neu installierten Kraftwerkskapazitäten Wind oder Solar sind. Mit China und Indien gibt es nur noch zwei Großverschmutzer, die massiv in Kohle investieren.

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Und das reicht?

Moment! Es existieren weitere Hoffnungszeichen. Alle großen Autohersteller überbieten sich derzeit darin, wer am schnellsten aus Benzin und Diesel aussteigt…

… Ankündigungen sind noch keine Taten.

Es gibt kein Zurück. Schon allein, weil die Politik klare Vorgaben setzt. Die EU beispielsweise hat beschlossen, bis 2035 aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen, ebenso Kalifornien. Und zurück zur Stromerzeugung. Auch China baut keineswegs nur Kohlekraftwerke, sondern will bis 2030 in den Wüstenregionen des Landes 450 Gigawatt an Wind und Solar errichten. Das ist 60 Prozent mehr als heute in der gesamten EU installiert ist.

Lässt sich damit schon erreichen, dass die Temperaturen auf der Erde um höchstens 1,5 Grad Celsius steigen? Die Marke wird als gerade noch verträglich angesehen.

Nein. Leider werden selbst zwei Grad voraussichtlich gerissen.

Und dennoch verbreiten Sie Hoffnung?

Ja, weil jedes Zehntel Grad weniger Temperaturanstieg ein Gewinn ist und die Klimakatastrophe mildert. Das allein sollte schon Ansporn genug sein. Aber noch einmal: Wir müssen den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter massiv beschleunigen, sonst wird es dramatisch.

Bisher weist wenig auf mehr Tempo hin. Warum zögert die Politik immer noch, dem Rat der Wissenschaftler zu folgen?

Ganz ehrlich: Ich halte nichts von einer Expertokratie, die quasi diktatorisch vorgibt, was zu geschehen hat. Der Charakter unserer westlichen Demokratien besteht aus unterschiedlichen Interessen – wirtschaftlichen wie sozialen -, die die Politik ausgleichen muss. Die Bürger pflegen unterschiedliche Lebensstile und folgen nicht alle den gleichen Werten. Viele Menschen treibt die Sorge um ihren Arbeitsplatz um. Sich in einem demokratischen Diskurs auf Lösungen zu einigen, braucht eben Zeit…

… die uns das Tempo des Klimawandels, der uns diesen Sommer in Europa mit Waldbränden, ausgetrockneten Flüssen und Gluthitze mahnte, nicht lässt.  

Das ist der wunde Punkt. Dennoch lässt sich ein solcher grundlegender Paradigmenwechsel für die Weltwirtschaft nicht herbei zwingen.

“Nie haben sich mehr Deutsche vegan oder vegetarisch ernährt als heute”

Ulrich Eberl

Obwohl keine ihrer Lösungen die Menschheit in Armut und Freudlosigkeit stürzen würde?

Wir sollten die Veränderungsbereitschaft nicht unterschätzen. Nie haben sich mehr Deutsche vegan oder vegetarisch ernährt als heute – rund neun Millionen sind es bereits, bei den unter 30-Jährigen schon fast jeder Fünfte. Je mehr Menschen erleben, dass eine vorwiegend pflanzliche Ernährung gesünder ist, es sich in grünen Städten mit wenig Autoverkehr entspannter lebt und das Verschwinden von Trinkhalmen aus Plastik die Lebensqualität nicht mindert, desto schneller nimmt der Wertewandel Fahrt auf.

Inklusive der Bereitschaft, keine 1-Euro-T-Shirts zu kaufen oder nicht mehr für 20 Euro nach Mallorca zu fliegen?

Auch da erkennen mehr und mehr Menschen, dass dies nicht nachhaltig ist. Denn die Umwelt und die Ausgebeuteten in den Billiglohnländern bezahlen die wahren Kosten.

UN-Generalsekretär António Guterres warnt vor kollektivem Selbstmord, wenn die Welt im Kampf gegen die Erderhitzung nur im Schleichgang vorankommt.

Bei solchen Appellen ist mir zu viel Panik im Spiel. Ich will klar machen, dass wir gute und schnell umsetzbare Lösungen zur Hand haben. Allein wenn wir fossile Energieträger durch Wind und Solar ersetzen, Elektro- statt Verbrennungsmotor machen und es dann noch hinkriegen, grünen Wasserstoff günstig zu produzieren, sind zwei Drittel des Weges geschafft.

Schön ausgedacht, aber leider unbezahlbar, werfen Kritiker ein.

Falsch. Anders als vor zehn Jahren rechnen sich die Dinge heute. Weltweit ist die Kilowattstunde Solarstrom inzwischen billiger als die aus Kohle, in manchen Regionen sogar um den Faktor zehn. Die Akkupreise sind im gleichen Zeitraum um 90 Prozent gesunken. Die Wirtschaftlichkeit ist das Entscheidende: Sie bringt staatliche wie private Investoren dazu, viel Geld in diese Technologien und die Transformation in das nachfossile Zeitalter zu stecken.

“Ich gebe zu, dass es unmöglich ist, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch vollständig zu entkoppeln”

Ulrich Eberl

Der Glaube an technologische Lösungen weckt die Illusion, wir könnten weiter so rücksichtslos mit der Natur umgehen wie bisher. Die Wirtschaft ergrünt –und alles ist gut?

Ich gebe zu, dass es unmöglich ist, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch vollständig zu entkoppeln. Machbar ist allerdings eine deutliche Reduktion.

In welchen Größenordnungen?

Die Energieintensität, also die Energie, die benötigt wird, um Waren im Wert von einem Dollar zu produzieren, sank in den USA und der EU in den vergangenen 20 Jahren um ein Drittel; in China sogar um die Hälfte. Und das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Ein Beispiel: Antriebe für Förderbänder oder Pumpen verbrauchen 60 Prozent des Stroms in der Industrie, aber durch intelligente Ansteuerung können sie um die Hälfte effizienter werden. Würden diese Motoren sowie die Hausgeräte und die Beleuchtungen durch die jeweils effizientesten, bereits verfügbaren Alternativen ersetzt, bräuchte man auf einen Schlag 2000 Kohlekraftwerke weniger.

Es geht aber nicht nur um Energie. Jedes Windrad verbraucht Tonnen an Stahl und Beton und raubt der Natur Fläche.

Dennoch hat es schon nach wenigen Monaten mehr Energie erzeugt als für seine Herstellung, den Betrieb und die Entsorgung anfallen. Allerdings bleibt das Problem der Materialien.

Das Sie wie lösen wollen?

Eine Antwort ist der Aufbau einer engmaschigen Kreislaufwirtschaft. Viele Rohstoffe lassen sich mithilfe neuer Verfahren inzwischen größtenteils wiedergewinnen und neu nutzen. Gerade bei Metallen und neuerdings auch bei Beton klappt das vorzüglich. Mit konsequentem Recycling können wir den Ressourcenverbrauch enorm reduzieren. Eine andere Antwort ist, begrenzt verfügbare durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Welches Potenzial darin steckt, zeigt wieder einmal China. Die Chinesen verwenden für die Bauindustrie 65-mal mehr Zement als Deutschland. Würden sie vermehrt auf Holz oder Bambus als Baustoff ausweichen, sähe die Bilanz sofort besser aus.

Wie bitte! Woher sollen die ganzen Wälder kommen?

Die kann ich doch nachhaltig bewirtschaften, also maximal so viel entnehmen wie nachwächst. Steigen wir auf solche besseren Lösungen um, ist schon viel gewonnen. Nehmen Sie die Holzhybrid-Hochhäuser, die gerade zum Trend werden: So steht in Wien schon seit drei Jahren ein 84 Meter hohes Gebäude vorwiegend aus Holz, und in Hamburg wächst gerade das „Roots“ auf 65 Meter.

Bleibt die Sucht nach dem ewigen Mehr. Der Erfolgsausweis jede Regierung ist doch eine möglichst hohe Steigerung des Bruttoinlandsprodukts.

Diese Fokussierung ist falsch. Zumal das BIP die Realität schief abbildet. Umweltschäden zum Beispiel gehen eher positiv als negativ in seine Berechnung ein. Unbezahlte soziale Leistungen wir etwa die Pflege eines Angehörigen  oder das Einkaufen für einen betagten Nachbarn bleiben unberücksichtigt.

“Ich kann mir vorstellen, dass eine Art Lebensqualität-Index das BIP als ewige Zielgröße ablöst”

Ulrich Eberl

Welcher andere Maßstab schwebt Ihnen vor?

Ich kann mir vorstellen, dass eine Art Lebensqualität-Index das BIP als ewige Zielgröße ablöst, oder wenigstens ergänzt.

Verzicht steht nicht auf Ihrer Agenda?

Ich behaupte: Das neue Leben in der nachhaltigen Zukunft hat mit Verzicht gar nicht viel zu tun.

Wie kommen Sie darauf?

Also wenn ich ein Elektroauto fahre, das schneller beschleunigt als ein Benziner, ist das kein Verzicht. Wenn mein Strom aus der Solaranlage statt aus dem Braunkohle-Kraftwerk kommt ebenso wenig. In einem Holzhaus statt einer Betonburg zu wohnen oder in einer grünen Stadt mit kurzen Wegen und vielen Parks und Radwegen zu leben auch nicht. Die Verzichtsdiskussion ist unglücklich, denn sie bewirkt eher eine Abwehr, anstatt die Bereitschaft zu fördern, sich auf die neue Zukunft einzulassen.

Dennoch bleibt die Tatsache, dass technologische Lösungen meist teuer sind und Zeit brauchen. Weniger Fleisch essen und seltener fliegen dagegen ließen sich sofort und kostenlos umzusetzen.

Völlig richtig. Mit solchen Verhaltensänderungen, die niemandem wirklich wehtun, kann jeder sofort einen Beitrag zur Klimarettung leisten. Es ist auch nicht sonderlich schwierig, auf unnötige Verpackungen zu verzichten und sich statt der heute durchschnittlich 60 nur 30 neue Kleidungsstücke im Jahr zu kaufen.

Sie werben für einen klimabewussten Lebensstil?

Darauf läuft es hinaus. Zumindest in den reichen Ländern werden wir viele gewohnte Verhaltensweisen ändern müssen.

“Wachstum funktioniert auch mit grünen Technologien”

Ulrich Eberl

Jetzt kommen Ökonomen und sagen: Wir brauchen ein kräftiges Wirtschaftswachstum, um die grünen Technologien finanzieren und den sozialen Frieden wahren zu können. Führt das in die Sackgasse?

Keineswegs. Wachstum funktioniert auch mit grünen Technologien. Wenn ich die gesamte Volkswirtschaft umbaue – von der Energieversorgung über die Mobilität bis zum Städtebau und der Landwirtschaft –, dann muss ich neue Lösungen und Produkte präsentieren. Die Unternehmen, die hier innovativ sind, wachsen sehr wohl. Und es gibt eine zweite falsche Argumentation….

…. die da wäre?

Der Wandel würde extrem teuer. Das stimmt nicht. Der Kauf einer Solaranlage auf dem Dach mit Stromspeicher im Keller ist eine Investition, die sich rasch amortisiert. Zweitens sollten diejenigen, die das behaupten, sich mal anschauen, welche unglaublichen Summen immer noch in die Fossilen fließen.

Sie sprechen von Subventionen?

Genau. Laut dem Internationalen Währungsfonds IWF liegen allein die direkten Subventionen für Benzin, Gas und Kohlestrom weltweit bei 500 bis 600 Milliarden Dollar jährlich. Werden gesundheitliche Schäden durch Feinstaub, Stickoxide und so weiter berücksichtigt, die die Sozial- und Gesundheitssysteme verkraften müssen, kommen 2200 Milliarden obendrauf. Weitere 1100 Milliarden Dollar betragen die Folgeschäden durch den Klimawandel – was im Übrigen noch sehr moderat gerechnet ist. Unter dem Strich summiert sich das zu vier Billionen Dollar – das entspricht fünf Prozent der globalen jährlichen Wirtschaftsleistung. Was für ein Wahnsinn!

Wo sähen Sie das Geld lieber angelegt?

Das Geld würde locker reichen, um jährlich 100 000 Windräder aufzustellen, 1000 Gigawatt an Solarkapazität zu installieren sowie je 20 000 Batteriespeicher und Elektrolyse-Anlagen zur Produktion von sauberem Wasserstoff anzuschaffen. Damit hätten wir innerhalb von zehn Jahren die globale Energiewende geschafft.

Das Phänomen des grünen Paradoxons, wonach stetige Produktivitätsgewinne auch umweltverträgliche Produkte verbilligen und so die Nachfrage antreiben, haben Sie damit noch nicht aus der Welt geschafft. Mit der Nachfrage steigt der Ressourcenbedarf – der Fortschritt für die Umwelt frisst sich quasi selber auf.

Ich möchte ja, dass mehr Menschen sich grüne Produkte leisten können und die alten, schädlichen Techniken vom Markt verschwinden. Da kauft man dann eben ein E-Auto statt eines Verbrenners.

Auch jeder zusätzliche Stromer erhöht den Ressourcenverbrauch.

Das soll kein Plädoyer für Millionen zusätzlicher Autos sein. Aber wer Autofahren will, hätte eine bezahlbare umweltverträgliche Alternative. Im Übrigen leben Ende 2050 weitere 2,5 Milliarden Menschen in Städten. Gerade in den Ballungsräumen sollten moderne öffentliche Verkehrssysteme Autos ersetzen. Es wäre ein erstrebenswertes Ziel, die Zahl der Fahrzeuge weltweit zu halbieren und sie ausschließlich elektrisch fahren zu lassen.

Wie begeistern Sie die Autoindustrie für diese Perspektive?

Die braucht sich nicht zu sorgen. Für sie gibt es neue Marktchancen. Denn neben dem Trend zum E-Auto gibt es den zum autonomen Fahren. Im Umfeld der Städte werden in Zukunft Millionen E-Taxis selbstständig die Bewohner zu ihren Zielen bringen. Der Vorteil ist klar: Die Autos stehen dann nicht wie heute die meiste Zeit des Tages ungenutzt herum.

“Afrika ist der Erdteil mit dem größten Nachholbedarf”

Ulrich Eberl

Ist das nicht alles viel zu sehr aus der Sicht der wohlhabenden Industrienationen gedacht? Afrika zum Beispiel ist weit davon entfernt, ein Hochtechnologie-Kontinent zu werden.

Afrika ist in der Tat der Erdteil mit dem größten Nachholbedarf. Ende des Jahrhunderts werden dort den Vorhersagen zufolge rund vier Milliarden Menschen leben, fast drei Milliarden mehr als heute. Die große Frage ist: Wie kann es funktionieren, dass sie auch in Afrika bleiben können.

Indem sie das chinesische Entwicklungsmodell wiederholen und in den gleichen Konsumrausch verfallen wie der Westen?

Das darf nicht passieren. Aber der Blick beispielsweise nach Marokko zeigt, wie es gehen könnte. Das Land hat seinen Energiebedarf lange mit importierter Kohle aus Südafrika gedeckt. Jetzt setzt die Regierung voll auf Wind und Solar. Von beidem hat das Land im Überfluss. Die Kohle wird abgeschafft. Nach diesem Muster einer dezentralen gesicherten Energieversorgung mittels der Erneuerbaren kann es in ganz Afrika laufen. Damit wäre die Basis für eine klimaneutrale Wohlstandsentwicklung gelegt.

Buch-Cover

 

Dieter Dürand

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